Wird Wehrtechnik jetzt wieder salonfähig?!

AUSGABE 5 | 2022

Die für uns bis dato heile Weltordnung steht seit Ende Februar auf dem Kopf. Bundeswehr, Ausrüstung und Wehretat kommen aus der jahrzehntelangen Schmuddelecke heraus. Die Notwendigkeit, schnellstmöglich die Verteidigungsfähigkeit wiederherzustellen, ist nun jedem mehr als bewusst. Der Prozess dahin dauert vermutlich fünf bis zehn Jahre, und für ein Gelingen sind schnellstmöglich verkrustete Beschaffungswege zu reformieren bzw. auf Effizienz zu trimmen.

Das von Bundeskanzler Olaf Scholz proklamierte Sonderbudget in Höhe von 100 Mrd. Euro macht den Soldaten Hoffnung auf bessere Zeiten, in denen sie nicht mehr einfachste Funktionskleidung von ihrem Taschengeld beschaffen und neidvoll auf besser ausgerüstete Outdoor-Camper schielen müssen. Der Fokus der Armee liegt wieder auf ihrer ursächlichen Aufgabe, und ich hoffe, dass Diskussionen über gegenderte Dienstgrade, vielleicht zu harte (aber notwendige) Ausbildungsinhalte, eine viel zu teure „Gorch Fock“ und um die Ecke schießende Gewehre schleunigst in den Hintergrund treten.

Kunststoffe finden sich entlang der gesamten Beschaffungskette – von einfachen Funktionssocken über Zelte bis hin zu Hightech-Ausrüstungsgegenständen. Leichtbau- und Sonderanwendungen wie Exoskelette lassen sich nur mit Kunststoffen realisieren. Nicht nur die Industrie, sondern auch die Forschung kann, wenn gewollt, Beiträge leisten, höchste Anforderungen zu erfüllen. Soweit ich weiß, ist im deutschsprachigen Raum die Kunststoff-Forschung auf dem Gebiet der Wehrtechnik fast zum Erliegen gekommen. Dabei ergeben sich Synergien auch beispielsweise zur Medizintechnik, was am Beispiel der Exoskelette deutlich wird: Diese können sowohl Soldatinnen und Soldaten beim Tragen schwerster Lasten als auch Querschnittsgelähmte beim Wiedererlangen persönlicher Mobilität und Lebensqualität unterstützen.

Mobile Hallen und Unterkünfte wie die Entwicklung von „Zelthaus“, die bei Naturkatastrophen zum Einsatz kommen können, sollten für die Bundeswehr schnellstmöglich praxistauglich und robust adaptiert werden. Containerunterkünfte und flexible, modulare Krankenhäuser werden in vielen Einsatzbereichen benötigt. All das stand der Bundeswehr in der längeren Vergangenheit ausreichend zur Verfügung. Heute besteht hier deutlicher Nachholbedarf. Und revolutionäre Leichtbauhallen benötigt auch die Industrie.

Unternehmen stehen nun vor mehreren Herausforderungen, wobei die Grundsatzentscheidung, die Entwicklung, Produktion und Qualitätssicherung von Wehrtechnik in die strategische Planung aufzunehmen, bewusst zu treffen ist. Die absolut verständlichen moralischen Bedenken gegen nachvollziehbare Geschäftsinteressen und auch Notwendigkeiten dieser Brache muss jeder Unternehmer für sich abwägen.

Die speziellen Normen und Zulassungsverfahren der Militärs zu verstehen, ist ebenso ein nächster Schritt wie der Aufbau eines spezifischen Vertriebs und eine den hohen Sicherheitsanforderungen genügenden Produktion. Gelingt dann der Zugang zum Beschaffungsamt der Bundeswehr (BAAINBw) in Koblenz, hieß es in der Vergangenheit, sich in Jahrelanger Geduld zu üben, um zum Zuge zu kommen. Die aktuelle Lage scheint hier nun neue Möglichkeiten aufzutun.

Der Nachholbedarf der Bundeswehr aber auch anderer Streitkräfte ist aufgrund der sichtbar gewordenen Bedrohung enorm. Bereits bestehende Systeme müssen in größeren Stückzahlen (nach)produziert und neue mit beschleunigten Freigabeverfahren entwickelt werden. Hoffentlich greift der Pragmatismus aus der Zulassung von Corona-Impfstoffen auch auf diese Branche über, ohne die Entwicklung erst im Einsatz abzuschließen, wie beim Starfighter in den 1960er und 1970er Jahren. Für unsere Industrie ergibt sich hier eine Chance, die wir uns alle nicht gewünscht haben, die es aber zu nutzen gilt.

Dr. Arno Rogalla ist Autor der monatlich erscheinenden Kolumne im K-Profi

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