Generation Home-Office
Der Zielkonflikt um unsere Zukunftsfähigkeit
Wenn es neben technischen Neuerungen auf den Fachmessen in den letzten Monaten ein Thema gab, so war es der Fach- und Führungskräftemangel. Mögliche Lösungen und Herangehensweisen hierzu habe ich in der Vergangenheit bereits mehrfach aufzuzeigen versucht. Leider kommt nun ein nicht wegzudiskutierender, verschärfender Aspekt hinzu: Durch die uns länger begleitende Corona-Lage wird eine Generation „Home-Office“ herangezogen, die glaubt, eine Produktion quasi vom Schreibtisch aus zu beherrschen. Man kann Prozesse mit „Künstlicher Intelligenz“ heute bestimmt deutlich besser verstehen als noch vor zehn Jahren. Aber man darf nicht meinen, dass alles, was nicht in „Teams“ oder „Zoom“ sachlich vermittelt werden kann, nicht existiert.
Woher soll die gerade ins Berufsleben einsteigende Generation einen normalen Arbeitsalltag kennen, wenn sie in leeren Büros aufgenommen wird oder einfache Schulpraktika nicht mehr in der Produktion, der Bank, dem Handwerksbetrieb usw. stattfinden können, weil alle Angst vor direkten Kontakten haben und lieber ihre Betriebe in sich geschlossen halten, als mit entsprechendem Aufwand weiterzubetreiben und interessant zu machen?
Die jungen Menschen verlieren den sozialen Kontakt, der später einmal wichtig ist, zwischenmenschliche Regungen richtig zu interpretieren und gemeinsam mit anderen aktiv ein gemeinsames Ziel zu verfolgen – und das auch gerne in konstruktiven, kontroversen Diskussionen, die einen größeren Lösungsraum öffnen. Eine Prozessoptimierung muss zeitnah direkt an Verarbeitungsmaschinen erfolgen. Nur wer das Zusammenspiel aus Mensch, Maschine, Material und Umwelt versteht und erlebt, kann ein gutes Ergebnis erzielen. Das geht nicht von zu Hause aus, wenn es gerade zeitlich zwischen – leider heute auch nicht immer selbstgesteuerten – Aktivitäten wie einer ungeplanten Kinderbetreuung und Arztbesuche passt. Ein Unternehmen kann nicht warten, sondern verdient nur dann Geld, wenn’s läuft.
Wenn man weiter in die Zukunft schaut, wird es sehr spannend. Die nun heranwachsende Generation verlernt zu führen, zu fördern und zu motivieren. Wo sollen begeisternde Unternehmer und Führungskräfte herkommen, wenn die Generation „Home-Office“ auf sich gestellt ist und sich nicht einmal auf dem Sportplatz richtig ausprobieren darf? Eine gute Führungskraft muss man erleben und als Vorbild auswählen können. Das geht nur live!
Auf der anderen Seite, und dies ist ein Widerspruch, saugt der Arbeitsmarkt gerade wirklich jeden Bewerber auf. Absolventen werden so frühzeitig von Unternehmen eingestellt, dass Forschungsinstitute Schwierigkeiten haben, ihre Stellen für wissenschaftlichen Nachwuchs zu besetzen. Wo soll in der Zukunft die freie Innovationskraft herkommen? Nur aus den Unternehmen? Wir befinden uns in einem klaren Zielkonflikt um unsere Zukunftsfähigkeit!
Speziell unsere Brache hat mit einem durch Politik und Presse beflügelten Imageproblem zu kämpfen. Junge Menschen engagieren sich lieber an anderen Stellen, als die Kunststofftechnik in der Tiefe so zu verstehen, dass sie einen kompetenten Beitrag leisten, um die Herausforderungen zu lösen, die mit Kunststoffen in Zusammenhang stehen. Wird die Generation „Home-Office“ an praktischen Lösungen arbeiten, ohne sich einmal die Hände schmutzig machen zu dürfen? Die Corona-Wellen müssen richtig verstanden und mit Weitsicht beherrscht werden. Wir haben aber eine ebenso große Verantwortung, der nachfolgenden Generation mehr beizubringen, als nur auf den Bildschirm zu schauen und sich nichts mehr zu trauen.
Dr. Arno Rogalla ist Autor der monatlich erscheinenden Kolumne im K-Profi
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