Leben und leben lassen
Über das seltsame Gebaren einiger Automotive-Einkäufer
Dass einige Einkäufer im Automotive Business besondere Verhandlungsmethoden beherrschen, ist bekannt. Die bisherige „Krönung“ dieser Sitten habe ich vor einiger Zeit miterleben dürfen.
Ein Zulieferer gibt bei einem Tier 1 (Anm.: Bezeichnung des ersten Zulieferers eines OEM in der Lieferkette) ein Angebot für ein technisch anspruchsvolles Spritzgießwerkzeug ab. Nach längeren Verhandlungen wird der Auftrag nicht bei ihm platziert, da er viel zu teuer sei und die Wettbewerber eine kürzere Lieferzeit versprächen. Nach ca. zwei Monaten kommt der Einkäufer wieder auf den Zulieferer zu und platziert den Auftrag doch. Man habe festgestellt, dass der Wettbewerber technisch doch nicht kompetent genug ist. Der Tier 1 akzeptiert den Preis aus der letzten Verhandlungsrunde anstandslos, und der Zulieferer freut sich, damals nicht weiter nachgegeben, sondern jetzt einen für ihn realistischen und fairen Preis erzielt zu haben.
Nun kommt es: Der Zulieferer baut das Werkzeug unter Hochdruck, um die beim Tier 1 verlorene Zeit aufzuholen, und geht in Vorleistungen – es gibt kein Zurück mehr. Die erste Anzahlung wurde geleistet, und dann kommt der Chef des Einkäufers ins Spiel. Höchst verärgert ruft er bei der Geschäftsleitung des Zulieferers an. Er habe in der Urlaubsabwesenheit seines Einkäufers die Angebote noch einmal geprüft: „Ihre Verbrechermethoden, einen Preis bei uns durchzudrücken, akzeptiere ich nicht. Reduzieren Sie den Preis, oder Sie werden bei weiteren Vergaben nicht mehr berücksichtigt.“ Nach einigem Hin und Her gibt der Zulieferer nach, reduziert den Preis und opfert seine Marge.
Interessant in dem Zusammenhang sind auch noch die Zahlungskonditionen dieses großen Kunden: Den größten Teil des Preises zahlt er erst, wenn das Fahrzeug in Serie gebaut wird. Man muss wissen, dass hier vom ersten fallenden Teil bis zur Serienproduktion durchaus noch einmal zwei Jahre vergehen können. Diese Teile und den Werkzeugpreis müssen in der Regel die kleinen Zulieferer der Tier 1 vorfinanzieren. Nicht selten geraten sie dadurch in Schwierigkeiten.
Natürlich lernen die kleineren Zulieferer aus solchen Erfahrungen und gestalten die Angebote immer kreativer: Sie nehmen einzelne Gewerke heraus und weisen sie im Begleittext als „separat anzubieten“ aus. Somit erreichen sie den vom Kunden gewünschten Preis und freuen sich, später den notwendigen Mehrpreis für eine wichtige Komponente separat in Rechnung stellen zu können. – Ein bauernschlaues Spiel, das wieder in Nachverhandlungen endet. Natürlich tauchen wieder Standardsätze in den E-Mail-Signaturen des Einkäufers auf, die den Zulieferer beschimpfen und deutlich machen, wie unmöglich man sich als Kunde behandelt fühlt. Am Ende verliert wieder der kleine Zulieferer. In der Regel macht der Einkäuferin Verhandlungen den Zulieferer auch noch zum Betroffenen, indem er jammert, unter wahnsinnigem Druck „vom Daimler“ oder „von VW“ (beliebig ergänzbar) zu stehen. Man müsse ihm helfen, sonst hätten beide ein riesiges Problem.
Über die eigenartigen Verhandlungsmethoden der Automobilindustrie, die in den 1980er Jahren mit Ignacio Lopez, dem Chefeinkäufer von zunächst Opel und später VW, begann, berichten immer wieder empört auch die Medien. Mit Fairness und nachhaltigem Lieferantenmanagement hat das nicht viel zu tun. Da kleine Zulieferer nun einmal nicht über die Macht eines Kiekert oder Prevent verfügen, empfehle ich ihnen dringend, sich andere Kunden zu suchen, die es in dem für unsere Branche so wichtigen Automotive-Geschäft durchaus gibt.
Dr. Arno Rogalla ist Autor der monatlich erscheinenden Kolumne im K-Profi
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