Industrie 4.0 und der Produktivmensch

AUSGABE 10 | 2017

Nach seiner Geburt des Begriffes Industrie 4.0 vor einigen Jahren prägt er heute die Diskussionen von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, aber auch die Entwicklungen und den Alltag immer zahlreicherer Unternehmen weltweit, v.a. aber in Deutschland. Politiker feiern unser Land schon als Weltmeister dieser neuen industriellen Revolution. Schlagwörter wie Digitalisierung, durchgängiger Datentransfer, Clouds, Produktionsüberwachung, Transparenz und Smart (Processes, Production, Factory) werden mit den Zielen „intelligenter, vernetzter, effizienter, individueller und schneller“ verbunden.

In unserer Industrie gelten die Maschinen- und Anlagenbauer als Vorreiter, während die Verarbeiter an vielen Stellen noch mit großen Fragezeichen vor dem Berg der Chancen stehen. Es sind vor allem die größeren Unternehmen, die Industrie 4.0 bereits beginnen in ihre Strategie mit einfließen zu lassen und zunehmend Mittel hierfür bereitstellen, während die kleineren sich noch mit Basisfragen der generellen Datenhandhabung herumschlagen. Der VDMA hat in seiner Readiness-Studie die sechs Stufen vom „Zuschauer“ über den Anfänger und Fortgeschrittenen bis zum Experten und excellenten 4.0-Unternehmen bzw. vom Neuling bis zum Pionier definiert. Von den Befragten hat sich noch niemand als excellent bezeichnet. Die Masse der Unternehmen fühlte sich in den Kategorien „Anfänger“ bis „Fortgeschritten“ wohl.

Dieses Bild spiegelt auch die Beobachtungen auf Tagungen und Kongressen wider. Die Maschinenbauer unserer Branche stellen schon Visionen, Lösungen und auch erste Pilotanwendungen vor. Die Diskussionen werden dominiert durch noch nicht abschließend geklärte Fragen wie Datensicherheit und Rechte an den Daten.

Aber die Verarbeiter mahnen zu Recht, dass man mit dem Angebot auch umgehen können muss. Ich möchte die Situation gern mit dem autonomen Fahren vergleichen. Hier wird das Fahrzeug zur Entertainment- und Arbeitsstube. Man argumentiert, dass der Fahrer auf dem Weg zur Arbeit schon einmal während der Fahrt vollkommen entspannt seine Geschäfte starten und somit Zeit gewinnen kann. Dies ist eine Vision der Intellektuellen für Privilegierte. Was macht denn der Handwerker oder Fließbandarbeiter während der Fahrt? Er sieht heute in der Vorstellung keinen Vorteil, nicht mehr selbst fahren zu müssen bzw. zu dürfen. Vor allem er sieht sich zunehmend bevormundet. Hier muss noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Übertragen auf unsere Branche heißt das: Die Masse der Mitarbeiter in verarbeitenden Betrieben kann mit dem Begriff Industrie 4.0 nichts oder sehr wenig anfangen, ja, hat sogar Angst davor, weil nicht klar ist, was er für sie bedeutet. Unsicherheit führt zu Angst um den Arbeitsplatz und somit zu Uneffektivität.

Parallel zu den konstruktiven, visionären und chancenöffnenden Entwicklungen und Geschäftsmodellen muss dringend auch ein Programm aufgebaut werden, die Masse unserer Mitarbeiter, die schließlich für die Wertschöpfung sorgen, mitzunehmen. Die Lösung hierzu steht bis heute in keinem Strategiepapier.

Dr. Arno Rogalla ist Autor der monatlich erscheinenden Kolumne im K-Profi

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