Sichere Neuanläufe brauchen ihre Zeit, erst recht in der Medizintechnik!

AUSGABE 1-2 | 2021

Die aktuellen Diskussionen der Politiker und Virologen über Verzögerungen der Belieferung mit Corona-Impfstoffen empfinde ich mehr als unglücklich. Wenn in unserer Branche ein Neuanlauf neuer Fahrzeugmodelle oder medizinischer Produkte ansteht, werden Jahre Vorlauf einkalkuliert bis eine sichere langfristige Belieferung des Marktes zu garantieren. Und bei der Verbreitung von Impfstoffen soll dies fehlerfrei innerhalb weniger Monate funktionieren?!

Ich erinnere mich sehr gut an den High-Speed-Hochlauf der Produktion eines neuen Mobiltelefons in Zeiten als es noch Siemens und Nokia Mobiltelefone gab. Diese extrem kurzlebigen Produkte wurden an den Produzenten mit der Maßgabe vergeben, dass innerhalb von sechs Monaten die Produktion nach Designfreeze für ca. 500.000 Gehäuse von Mobiltelefonen laufen sollte. Zu der Zeit gab es noch mehrere Unternehmen in Deutschland, die dies für die unterschiedlichen Großkunden zu leisten vermochten. In dem Fall, den ich begleiten durfte, wurde eine neue Produktionshalle gebaut, 21 neue Spritzgießmaschinen gekauft und über 40 Spritzgießwerkzeuge gebaut. All dies waren beherrschbare Vorarbeiten. Der Schlüssel war jedoch die erfolgreiche Installation einer komplett neu entwickelten Montagelinie, die aus 19 Einzelkomponenten das komplette Gehäuse des Mobiltelefons fügen sollte. An der Anlage gab es naturgemäß sehr viele Kinderkrankheiten, die letztendlich zu einer deutlich langsameren Marktbelieferung führten als geplant. Neben der Optimierung der Anlage musste auch für die Einzelkomponenten und unterschiedlichen Farben der Komponenten die richtigen Prozessfenster gefunden und definiert werden.

 

Für alle Verzögerungen hatten die Kunden solange Verständnis wie sie sahen, dass intensivst an der Lösung der Probleme gearbeitet wurde. Es waren in der Regel Techniker auf der Kundenseite, die sich der ehrgeizigen Ziele ihres Unternehmens bewusst waren und quasi als Übersetzer zu Marketing und Vertrieb dienten. Schlussendlich konnten man dann aber gemeinsam die erfolgreiche Marktbelieferung mit einer Verzögerung von „nur“ 2 Monaten feiern, was dem Erfolg des Modells keinen Abbruch tat. Bei allem Aufwand laufen die Modelle in der Regel nur ein Jahr. Danach beginnt der Zyklus von Neuem. – Dies ist das technisch mögliche. Für Medizinprodukte gelten jedoch andere Regeln.

 

Das Qualifizieren und Validieren neuer Prozesse in der Medizintechnik ist sehr stark definiert und reguliert. Selbst eine kleine Rezepturänderung bei einem zugelassenen Massenprodukt bedarf zahlreicher Risikoanalysen, Tests und Nachweise bis das Produkt in den Markt gehen darf. Allein auf die entsprechenden Zertifikate der benannten Stellen muss man aufgrund der Dauer normierter Testreihen Monate oder Jahre warten. Erst dann sind die Zulassungen für den Markt gültig.

 

Ich wünsche mir, dass bei allen Diskussionen über die „Unfähigkeit“ der großen Impfstoffhersteller auch einmal Techniker und Fachleute zu Wort kämen, die sich mit solchen Produktionsprozessen auskennen und zumindest für Verständnis werben könnten. Wir alle wollen doch nur Produkte in den Körper gespritzt bekommen, die sicher hergestellt werden und nicht nur zufällig „gut“ sind. Hier werden neue Produkte in den Markt gebracht, die zum Teil über komplett neue Abfüllanlagen mit höchsten Hygieneanforderungen laufen (sollen), um die Ausbringmengen zu erhöhen. Die Installation, Qualifizierung und Validierung solcher neuen Anlagen benötigt normalerweise Jahre!

Dr. Arno Rogalla ist Autor der monatlich erscheinenden Kolumne im K-Profi

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