Medizintechnik – eine strategische Option?

AUSGABE 03/04 | 2016
Welche Hürden und Chancen sich Kunststoffverarbeitern stellen

Mit ca. 28,4 Mrd. Euro Produktionsumsatz, 70 % Exportquote und etwa 130.000 direkt Beschäftigten steht die deutsche Medizintechnik hinter den USA und Japan weltweit an dritter Stelle. 12.000 Unternehmen, davon 1.240 mit mehr als 20 Beschäftigten, sind in und für die Medizintechnik tätig.

Insbesondere seit der Wirtschaftskrise 2008/09 suchen immer mehr Kunststoffverarbeiter ein weiteres Standbein und wenden sich auch der Medizintechnik zu. Lange Produktlebenszeiten und große Stückzahlen, bei Verbrauchsartikeln bis in die Milliarden pro Jahr, erscheinen auf den ersten Blick reizvoll. Ebenso typisch für den Markt sind aber Kleinserien mit wenigen 100 bis 1.000 Stück pro Jahr, etwa Baugruppen oder Verkleidungen für Computertomographen (CT). Die Ansprüche an die Fertigungsumgebung der letztgenannten Gruppe sind natürlich deutlich anders als beispielsweise in der Produktion von Inhalern (Tascheninhaliergeräte für Atemwegserkrankte), die mehrere Millionen Stück pro Jahr unter Reinraumbedingungen ausbringen muss.

Für den Verarbeiter sind die genaue Kenntnis der Anforderungen an Produkt, Fertigung und Qualitätsmanagement, auch der Regularien der amerikanischen Aufsichtsbehörde FDA als kritischster Instanz, die besondere Herausforderung. Die Qualifizierung und permanente Weiterbildung des Personals ist für den zukünftigen Medizintechnik-Zulieferer ein weiterer wichtiger, aber auch kostspieliger Punkt.

Der Kunststoffverarbeiter muss sich bei Produktneuanläufen von der Erteilung des Auftrages bis zur Serienproduktion auf Wartezeiten von mehreren Jahren einrichten. Dies bedeutet auch, dass bereits installierte Produktionsanlagen selbst nach ihrer Qualifizierung und Validierung bis zur letztendlichen Freigabe des Produktes durch die Behörden „ruhendes Kapital“ darstellen. Nach Produktionsaufnahme hat Verarbeiter häufig die Gewissheit einer langjährigen Kundenbeziehung, da ein Wechsel des Herstellortes bei Medizinprodukten bestimmter Klassifikationen nicht üblich ist.

Die kontinuierliche Beobachtung des Marktes aus potenziellen Kunden und Mitbewerbern stellt ebenso einen Erfolgsfaktor dar wie die Bereitschaft, den Kunden bei der Entwicklung neuer innovativer Produkte zu begleiten. Kunststofftechnisches und werkstoffwissenschaftliches Know-how sind bei den Kunden nicht zwingend vorhanden: Sie sind oft auf die Expertise der Zulieferer angewiesen.

Der Kunststoffverarbeiter muss zunächst klar für sich entscheiden, ob er im Markt als Anbieter von Klein- oder Großserien wahrgenommen werden möchte. Produktion und Infrastruktur sind hierauf strategisch auszurichten. Ein Einstieg mit einfachen Produkten, verbunden mit einer nach außen sichtbaren, konsequenten Weiterentwicklung des gesamten Unternehmens, ist hilfreich, um dieses Geschäft kontinuierlich auszubauen und nach einigen Jahren als wichtiger Zulieferer erkannt und anerkannt zu werden.

Mit dem Schritt in Richtung Medizintechnik wandelt sich zwangsläufig die Kultur im Unternehmen. Bekannte Einkaufsgewohnheiten und auch ein schneller kostengetriebener Wechsel von Zulieferern beispielsweise sind in dieser Branche sehr ungern gesehen und wenig akzeptiert, da sie erneut kostspielige Freigabeprozesse bedingen. Grundsätzlich lohnt der Einstieg in den kontinuierlich wachsenden Markt der Medizintechnik. Mit der richtigen Strategie ist er zukunftsweisend.

Dr. Arno Rogalla ist Autor der monatlich erscheinenden Kolumne im K-Profi

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